AW: Aller Anfang ist schwer - FZ 50
Hallo Annett,
Annett schrieb:
muss ich sie fast wie Vokabeln pauken, weil es einfach nicht auf die interne Festplatte rutschen will (kein Witz!).
Ich bin eher der Typ, der Sachen beGREIFEN muss, um sie abspeichern und anwenden zu können. An der Kamera sehe ich einfach nicht, was ich mache bzw. welche Auswirkungen das hat.
Ich denke, dass mein Problem vor allem daher rührt.
Ja, tut es. Um dem abzuhelfen, muss man (wie in jedem Fachgebiet) erstmal die Grundlagen kennen - und dann reichlich Erfahrungen sammeln. Früher in der analogen Zeit hat man das als "Lehrling" so gemacht, dass man sich zu jedem Foto die Basisdaten (Brennweite, Blende, Belichtungszeit, Blitz?, Stativ? usw.) auf einen Zettel geschrieben hat. Bei selbst erstellten Abzügen natürlich noch sämtliche Daten zu Vergrößerung und Chemie. Dann hat man hunderte von Prints auf dem Boden ausgelegt (wenn an den Wänden zum Anpinnen kein Platz mehr war
und mit den notierten Daten verglichen.
Und dann, irgendwann, mit viel Übung, begreift man die Zusammenhänge zwischen den fotografischen Einstellungen beim Drücken des Auslösers und dem Ergebnis. Und darum geht es. Nicht darum, "Profi-Fotos" zu machen. Sondern darum, überhaupt erkennen zu können, welches Foto richtig und welches Foto falsch belichtet ist, welche Fehler es sonst hat. Und zu lernen, woran das im Einzelfall liegt. Erst, wenn man das kann, kann man künftig bessere Fotos machen, die nicht nur reine Zufallsergebnisse sind.
Niemand muss sich solche Kenntnisse aneignen. Gute Schnappschüsse gelingen mitunter auch ohne. Aber um halbwegs einen Durchblick zu kriegen, geht IMHO am Wissen der "basics" der Fotografie kein Weg vorbei. Die sind auch seit 100 Jahren die gleichen, ob analog oder digital. Der Zusammenhang von Zeit, Blende, Brennweite, Tiefenschärfe, Bildwinkel / Perspektive usw. usf. ist unabhängig von der eingesetzten Technik. Wenn du das durchschaut hast, weisst du nicht nur, woran es einem Bild technisch mangelt. Sondern auch, ob der schlechte / langweilige Eindruck eines Bildes nun technische und/ oder gestalterische Gründe hat.
Ein Beispiel: Dein Katzenbild aus diesem thread,
https://www.hobby-gartenteich.de/xf/attachments/21519&d=1202208116
Du schreibst: "Auch nicht wirklich gelungen, irgendwie fehlt mir da mehr Ausdruck."
Stimmt, genau so ist es. Von der Belichtung her scheint mir das Bild OK. Es gibt weder krass überbelichtete (weiss "ausgefressene") noch noch krass unterbelichtete (schwarz "abgesoffene") Bereiche im Bild. Aber das kann ich auf meinem Billig-TFT-Bildschirm kaum beurteilen. Nimm dir deine Bildbearbeitung und schau dir das Histogramm an. Dann weisst du mehr (wenn du ein Histogramm "lesen" kannst).
Die Schärfe stimmt auch. Du hast nämlich (entweder "instinktiv", oder weil die Kamera automatisch das fokussiert hat, was in der Bildmitte ist) auf die Augen fokussiert. Gut! Eine der wichtigsten Grundregeln beachtet: bei Menschen und Tieren immer auf die Augen scharf stellen - weil das das erste ist, wo man als Betrachter hinguckt. Unscharfe Augen beim Hauptmotiv disqualifizieren ein Foto sofort.
Du warst aber noch besser! Auch die
Nase und die Ohren der Katze sind scharf abgebildet - also das ganze Gesicht. Eben das, worauf es ankommt. So soll es sein. Du hast auch noch etwas anderes, ganz Schlaues getan. Nämlich das bildwichtige Motiv "freigestellt". Heisst: die Katze als Hauptmotiv ist scharf abgebildet, der unwichtige Hintergrund dagegen unscharf. Eine bewährte Praxis bei Portrait-Aufnahmen, ob Mensch oder Tier. Du hast hier ganz gekonnt mit der Wirkung der Tiefenschärfe gearbeitet! Kann sein, dass du das rein zufällig gemacht hast. Dann schau dir mal die EXIF-Daten des JPG-Files an, speziell Brennweite und Blende. Daraus ergibt sich die Tiefenschärfe, die bei diesem Bild gut wirkt. Und wenn du diese Daten richtig "lesen" kannst, wirst du wissen, warum das so ist.
Trotzdem irgendwie nicht gelungen, es fehlt der "Ausdruck". Stimmt. Das hat hier (soweit ich das an meinem Monitor beurteilen kann) aber nicht an der Technik, sondern an der Bildgestaltung. Da häufen sich typische Anfängerfehler.
1. Der Katzenkopf, das wichtigste Motiv, befindet sich genau in der Bildmitte. Typischer Anfängerfehler, passiert jedem. Du hast die Katze "ins Visier" genommen... und wie beim Blick durch das Zielfernrohr einer Waffe so exakt "geschosssen", dass sich ihr Kopf genau im Zentrum des "Fadenkreuzes" befindet. Solche Bilder wirken _immer_ langweilig. Das hat mit der "Wahrnehmungspsychologie" der Menschen zu tun. Wenn wir ein Bild "lesen", tun wir das unbewusst immer "von oben links nach unten rechts" (Menschen, die z.B. hebräisch lesen, würden oben rechts anfangen). Und wir empfinden es als positiv, wenn sich die Spannung im Bild mit unserem wandernden Blick steigert.
Genau das ist der Grund dafür, dass in Zeitschriften die großen Anzeigen rechts auf der Doppelseite deutlich teurer sind als die links. Weil die rechts vom Leser viel intensiver wahrgenommen werden als die links. Platt gesagt: links erstmal langweilig anfangen, dann rechts den "Höhepunkt" setzen. Bei dir ist der Höhepunkt mittig, und danach wird's wieder langweilig :-/
Also eine eherne Grundregel der Bildgestaltung verletzt. Wie wichtig diese Regeln sind, sieht man daran, dass der Mensch sich darüber seit Jahrtausenden Gedanken gemacht hat... und bald auf den "goldenen Schnitt" gekommen ist. Ob bei Architektur, Malerei oder Fotografie - eine gute Gestaltung folgt seit ewigen Jahrhunderten der Richtlinie, den Blick des Betrachters ganz gezielt auf die bildwichtigen Inhalte zu lenken. ohne, dass der das überhaupt bemerkt. Sicher, man kann diese Gestaltungsregeln im Einzelfall brechen. Dann sollte man aber genau wissen, wie und warum.
2. Der Hintergrund. Katze als Hauptmotiv ist gut. Katze vor trockener Erde mit Unkraut drauf ist nicht so gut. Auch, wenn der Hintergrund eher unwichtig ist. Wahrgenommen wird er doch. Dein Hintergrund ist nicht interessant, er ist nicht homogen, und er lenkt durch das leuchtende Grün vom Hauptmotiv ab. Das wird zwar dadurch gemildert, dass der Hintergrund unscharf ist. Aber es stört doch deutlich.
3. Der Bildausschnitt. Eine Katastrophe
Du kannst eine sitzende Katze so aufnehmen, dass das ganze Tier zu sehen ist. Dann hättest du aber ausser dem passenden Bildausschnitt auch das Hochformat wählen müssen. Du kannst dich auch auf den Kopf der Katze beschränken. Was du aber keinesfalls tun darfst: die Katze "mittig" am Bauch einfach abschneiden. Und dann über dem Katzenkopf noch ca. 1/3 der Bildhöhe freilassen.
Die Wirkung auf den Betrachter ist dann so, dass er nicht genau weiss, worauf das Foto seine Aufmerksamkeit lenken soll. Auf den Kopf? Dafür ist er zu klein und falsch positioniert. Auf die ganze Katze? Geht nicht, die ist ja nicht ganz zu sehen. Auf den Hintergrund? Kann nicht dein Ernst sein, so spannend ist unscharfes Unkraut nun auch wieder nicht
Aber zum Trost: selbst, wenn du diese Gestaltungsregeln beachtet hättest, wäre das Bild immer noch langweilig. Weil die Katze einfach dumm und gelangweilt vor sich hin guckt
Das war schlichtweg der falsche Moment zum Abdrücken. Fotografiere einen Hund beim Kacken, und er sieht immer strunzdumm und langweilig aus. Fotografiere ihn, wenn er gerade aufmerksam potentielle Beute beobachtet... und es wird spannend.
Diesen richtigen "fotografischen Moment" abzupassen, ist dann schon die hohe Kunst der Fotografie von Menschen und Tieren. Man kann das so machen, wie Joachim ¿ (Ironie) vorschlug: "Nachschiessen" - also Serienaufnahmen machen. Besonders bewährt, wenn man Menschengruppen fotografiert. Weil sich die Leute da völlig verspannen, wenn sie wissen, dass eine Kameralinse auf sie gerichtet ist. Also macht man das erste Bild, die Leute entspannen sich, weil sie denken, dass der Stress des zwangsweise Lächeln müssens vorbei ist... und genau dann kommt der "Nachschuss", der oft um Längen besser wird als der erste.
So, jetzt habe ich das getan, was Anfänger fürchterlich nerven wird
Nämlich über ein einfaches Knipsfoto einen Roman geschrieben, es technisch und von der Gestaltung her völlig "zerpflückt". Das mag "gnadenlos" erscheinen. Aber ich denke, dass das der einzige Weg ist, nach und nach zu besseren Fotos zu kommen. Hundertfach ausdrucken und endlos lange ansehen. Und dann im Detail analysieren, woran es liegt, ob ein Foto langweilig oder spannend ist.
Das gilt ganz besonders für die Fotografie von Menschen und Tieren. Wenn wir im "real life" einen Hund oder einen Menschen anschauen, wissen wir instinktiv innerhalb eines Sekundenbruchteils, ob der gerade freundlich, ängstlich, aggressiv oder desinteressiert guckt. Und so reagiert auch der Betrachter eines Fotos "instinktiv". Die Kunst ist, zu erkennen, welchen Regeln dieser Instinkt folgt. Und die Motive dann im Wissen darum auszuwählen, welche Gefühle sie beim Betrachter auslösen. Insofern ist Fotografieren lernen tatsächlich "sehen lernen". Erst, wenn man durch den Sucher erkennen kann, ob da Trauer, Langeweile, Angst, Freude, Ekstase, Hektik, Schmerz usw. ist... erst dann wird man den richtigen Moment zum Auslösen finden. Das ist zwar für den Hobby-Knipser völlig unwichtig, der nur Schnappschüsse zu Erinnerungszwecken macht. Aber für den, der vom Knipsem zum soliden Handwerk kommen will, ist es essentiell.
Viele Grüße,
Stefan