Hallo Mirko,
jetzt hast Du mit zwei roten Tüchern für mich gleichzeitig gewedelt: Ebay und asiatische Pflanzenexporteure. In beiden Fällen geht die Kenntnis der Pflanzen gegen Null und man setzt nur auf die schnelle Markt. Der asiatische Pflanzenmarkt ist seit langem dafür berüchtigt, daß es mit der Sortenechtheit dort nicht weit her ist. Es werden zwar riesige Mengen Pflanzen zu Spottpreisen dort produziert, aber kein Mensch kümmert sich darum was es wirklich für Pflanzen sind. Der Kunde möchte eine Nymphaea zenkeri? Dann schreiben wir das eben drauf, damit er glücklich ist ...
Ein paar Schlaumeier bei uns haben diese supergünstige Bezugsquelle entdeckt und verticken die dort erworbenen Pflanzen jetzt bei Ebay. Ich vermute deren Kenntnisse sind noch geringer als die der asiatischen Produzenten. Es wird alles angeboten vom Unmöglichen (
Seerosen- und Lotossorten aus Samen, die sich aus Samen überhaupt nicht echt vermehren lassen), über das Falsche (irgendwelche Pflanzen die mit echten Sortennamen versehen wurden) bis zum Nichtexistierenden (irgendwelche Pflanzen mit Fantasienamen, da gibt es dann schon mal eine Bananenstaude als 'Himalaya-
Lotus' zu kaufen).
Die Kombination aus dubiosen Importen und Ebay-Verramschern finde ich tödlich. Es entsteht eine entsetzliche Konfussion, kein Mensch kennt sich mehr aus und obendrein gehen die Preise kaputt. Rutschen die Preise unter ein bestimmtes Niveau, dann können es sich europäische Gärtner einfach nicht mehr leisten viele verschiedene Sorten an Seerosen oder anderen Pflanzen zu vermehren und sortenecht zu verkaufen. Dann sind wir glücklich wieder an dem Punkt angekommen, wo Seerosen nur nach Blütenfarbe verkauft wurden: 'es gibt vier Sorten Seerosen: weisse, gelbe, rote und rosafarbige'. So weit waren wir in den 70igern schon einmal.
Also stemmen wir uns gegen den allgemeinen Trend und verbreiten ein bisschen botanische Kenntnisse. Zeit für ein paar Grundlagen bezüglich Seerosentaxonomie:
Die Gattung der Seerosen wird in zwei Gruppen aufgeteilt von denen jede aus mehreren Subgattungen besteht:
GRUPPE APOCARPIAE:
Subgattung Anecphya (alle tropischen australischen Seerosen, alles Tagblüher)
Subgattung Brachyceras (alle anderen tagblühenden tropischen Seerosen)
GRUPPE SYNCARPIAE:
Subgattung Hydrocallis (tropische
nachtblühende Seerosen, keine davon in Kultur)
Subgattung
Lotos (tropische nachtblühende Seerosen)
Subgattung Castalia (alle winterharten Seerosen und Nymphaea mexicana)
Mit dieser Aufteilung lässt sich bereits eine von Deinen Fragen beantworten. Was hat Nymphaea lotus mit Nymphaea micrantha zu tun? Nymphaea lotus gehört zur Subgattung Lotos (bitte beachten: die Art schreibt man lotUs, die Subgattung schreibt man LotOs), Nymphaea micrantha gehört zur Subgattung Brachyceras. Da beide Subgattungen in verschiedenen Gruppen liegen, haben die beiden Pflanzen überhaupt nichts miteinander zu tun. Nymphaea stellata/nouchali gehört ebenfalls in die Subgattung Brachyceras und hat daher auch nichts mit Nymphaea lotus zu tun.
Die andere Frage welche nachtblühende Seerose Du vor Dir hast, kann mit der Aufteilung auch eingegrenzt werden. Da alle Arten aus der Subgattung Hydrocallis nicht kultiviert werden (sie haben unscheinbare Blüten die sich mitten in der Nacht für ganz kurze Zeit - manchmal nur 30 Minuten - öffen und entsetzlich nach Aas oder Chemie stinken), kann es nur noch eine Art aus der Subgattung Lotos sein.
Die Subgattung Lotos besteht aus folgenden Arten:
Nymphaea lotus
weisse Blüten, Blätter oberseits grün, unterseits grünlich bis bräunlich, junge Blätter sind anfangs oberseits rötlich. Die Blattränder sind gezähnt (das ist der botanisch korrekte Ausdruck für 'gezackt'). Die Blätter werden bis zu 50 cm groß, die ganze Pflanze über 3 Meter.
Nymphaea pubescens
weisse Blüten, Blätter oberseits dunkelgrün, unterseits grün mit purpur. Die Blattränder sind unregelmässig gezähnt. Das Rhizom ist dicht behaart. Die Blätter werden bis zu 20 cm groß, die ganze Pflanze bis zu 1,5 m.
Nymphaea rubra
rote Blüten, Blätter ober- und unterseits rotbraun. Die Blattränder sind gezähnt. Die Blätter werden bis zu 50 cm groß, die ganze Pflanze bis zu 3 Metern.
Nymphaea thermalis
äusserlich nicht von Nymphaea rubra zu unterscheiden, aber genetische Unterschiede vorhanden. Es ist die einzige in Europa heimische tropische Seerose, eine Relikt aus der Tertiärzeit das in einer warmen Quelle in Rumänien überlebt hat. Strengstens geschützt, extrem selten und daher nicht im Handel zu finden.
Nymphaea spontanea
rosa Blüten, Blätter oberseits bräunlich bis oliv, unterseits bräunlich bis purpurn. Blattränder gezähnt. Die Blätter werden bis 30 cm groß, die ganze Pflanze bis 2 Meter.
Nymphaea zenkeri
weisse Blüten. Blätter oberseits grün, unterseits grün mit Behaarung. Blattränder unregelmässig aber nicht gezähnt. Die Blätter werden bis zu 10 cm groß, die ganze Pflanze kaum mehr als ein halber Meter. Eine sehr seltene Art, deswegen nicht im Handel zu finden.
Ob Du eine dieser Pflanzen in Deinem Aquarium hast kannst Du nur selbst beurteilen. Ich vermute eher Du wirst eine namenlose Hybride haben. Die Pflanze auf dem Link von Dir ist jedenfalls so eine Hybride. Es lässt sich nur sagen, dass Nymphaea lotus zum Stammbaum gehören muss, mehr aber nicht.
Ein 'Tigerlotus' existiert nicht, das ist eine reine Fantasiebezeichnung.
Hat Die die Erklärung jetzt weitergeholfen?
Werner